Ein Porträtist kreativer Erregung

Wir kennen uns seit nahezu 40 Jahren und unsere Gesprächsthemen sind so oft noch dieselben, daß ich mich manchmal frage, wer wir damals waren... Felszeichnungen und Religionen, Lyriker und Gedichte, Musikstücke, Jazzmusik, Weine, Schnapse, Lieder jeder Herkunft, grafische Techniken, Theater, Kino, Konzerte, Kurzgeschichten, - Hunger, Heißhunger fällt mir ein, wenn ich an den Maler Karl Peter Muller denke, und, dass ich diesen Text in dem Tempo schreiben sollte, in dem er malt, in dem er am Motiv zerrt, reißt, schlingt, ausspuckt, kaut und verdaut, aufblickt, fixiert und von Neuem beginnt... KPM ist so spontan wie ein Augenaufschlag, elektrisiert wo sein Interesse aufspringt, und dabei bedacht wie ein Mönch inmitten der Fastenzeit. - So muss auch dieses "Schwanenbild" entstanden sein, mein Favorit unter den großen Werken des Künstlers. Man spürt die bloß liegenden Nerven, die bis in die Pinselenden zu reichen scheinen, um so die Farben mit Leben zu belegen... diese Komposition auf den Schnäbeln beruhend, auf deren Formen und identischen Farben, die an vielen Stellen ihren inszenierten Auftritt haben. den Körper- und Federfetzen Halt geben und die einzelnen Stücke letztlich zu einem aufregenden Ganzen gerinnen lassen. Das großformatige Gemälde ist so kraftvoll und dabei so einfach erlebt, dass man seinen Realitätsbezug keine Sekunde bezweifelt.

Alles, was KPM malt, scheint uns von seinem Inneren her zu erreichen... nicht sofort und auch nicht immer in seiner vollen Bedeutung, aber immer so, dass das Objekt den Betrachter an - stößt, die wichtigste Voraussetzung für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Werk, und so ein eventuelles Verständnis. Und KPM will verstanden werden.

Manchmal habe ich bei der Begegnung mit einem seiner Bilder den Eindruck, als habe er damit die Zeit angehalten. KPM hat diese Schwäne an- und aufgenommen wie einen Gegner, er umfasste das gravitätische „Gehabe“ der großen Vögel, deren Ruhe, das Verhältnis der Schnäbel zueinander, die weißen, grauen, schwarzen Federschwerenelemente hin und zurück, das aufmerksame Luren des runden Blicks, der unser Sehen bewegt und die elegant „gebogenen Mittel“ und ihr verbindendes Wirken, die Bewegung der Tiere zum großen komponierten Schlussakkord, jenem Moment, in dem das Erlebnis gefiltert im Wolfsmagen angekommen und der Leinwand übergeben ist... einzelne Korrekturen nicht mehr grundsätzlicher Art vorgenommen sind, das Werk steht - und es blickt dich an.

Eines der Skizzenbücher ist auf der Außenseite mit dem Relikt einer toten Eidechse versehen, einer fern-gewordenen Existenz, einer Zwischenrealität. Geronnene Haltungsgesten menschlicher Gestalten verweisen auf sich selbst. Bei KPM ist nie etwas zaghaft. Er malt und zeichnet nur was er meint, und dies, weil er dies weiß - malt oder zeichnet er nachdrücklich, auch wenn es zart erscheint! Wenn ich weiter oben sagte, dass uns das Schwanenbild anblickt, so war dies wörtlich gemeint.

Ob Akt, Landschaft, Menschengruppen, Muller steht im Mittelpunkt und sieht, er stellt uns diese Motive vor, gegenüber ist nichts anderes. Zeichnungen beispielsweise, die beim Anblick hell wach sind! Lebendige Details! Kontemplative Straßen! Vegetative Charaktere! In seinem Strich glimmt immer auch - als sei dies durch die Berührung mit dem Stift geschehen - Poesie!

Das unterschiedliche Licht ist so selbstverständlich, dass die Quelle so gut wie nie in Erscheinung tritt! Ein aus seinem Inneren heraus scheinender Baum, ein Strauch, der - für den Moment dieser Wahrnehmung - auf seine Weise zu glühen scheint! Ein in vertrauter Wärme leuchtender Berg! Das Pferd, dessen Puls sichtbar ist! Wolkenkonstellationen von Licht gesäumt! Küstenfäden wie die bezeichnende Seismographie eines Gebirgszuges! Hauchdünne und gehärtete Linien aus Ölfarben, Kohle und Bleistift, Erregungszeugnisse der Tusche- und Rohrfeder... auf Leinwänden, Papier, Keramik, alles folgt einer eigentlichen Ordnung, jener des Malers. Reagiert die menschliche Chemie nicht etwa auf die Fieberkurve eines Berges, auf dieses alarmierende Flachsfeld, der Unmittelbarkeit einer Meeresdünung. Öffnet die Schleusen, hatte Henry Miller gefordert, und KPM hat es gehört. Etwas von nie untergegangener Archaik wird in seinem Werk deutlich. Kultivierte Primitivität? Ein Acker wächst in Schichten hoch. Häuser schieben sich zu einem Dorf ineinander. Kleine Ebenen bilden auslaufende Schwerpunkte. Kathedralen – verwischt - vergänglich - könnten Interpunktionen sein. Ein Strand kommt plastisch, eine Treppe weich ins Bild, der Torbogen steht souverän in der Zeit. KPM konzentriert durch Weglassen.

Er zeichnet wo er geht und steht, ein Engagement, das zur Folge hat, dass der Künstler jede seiner Vorstellungen sofort realisieren kann. Und: Realität ist für ihn sein Bild. Von äußerster Reduktion bis zu barockem Verschwendertum kommt alles von. Seit vielen Jahren Gast in mediterranen „Nähen“ berauschen ihn dort Lichter wie Schatten und die Schatten von Schatten, Dachlandschaften in ihrer verschobenen Klariert... „Meine Unsicherheit wächst mit meiner Erfahrung“, schrieb er 1989 in einem Skizzenbuch. Und: „Nicht mehr einfangen lassen von Gewohnheiten [gewöhnen = anpassen]“ - woanders. KPM, früher ein geselliger Mensch, lebt heute zurückgezogen. Ein Mann, der mit seinen Kräften -haushält, und die Reserven in seine Kunst investiert. „Kunst ist, es bewusst zu machen“, sagte er auf einer gemeinsamen Autofahrt. Und noch etwas hat sich bei ihm mit den Jahren geändert: KPM redet nicht mehr als nötig. Er achtet jedes Wort von Substanz.

Seine Bilder erinnern mich an Chiffren, niedergeschlagen wie warmer Regen, der die Erde zu animalischen Leben anregt... ein Besuch bei ihm ist in einer ruhigen Weise beflügelnd. Er scheint mir organisch organisiert zu sein, - wie der Flug eines Vogels. Der Künstler schält Schichten seines Motivs, hält inne, betrachtet, lebt, wägt ab. trinkt einen Schluck, setzt ein, lernt den Kern kennen, wendet ihn an - oder nicht, er notiert das Vorgefundene, das Produkt des Sezierens. KPM fragt nie, und schon gar nicht was erlaubt ist. Er ist überzeugt, dass er alles darf. Und die Erfahrung gibt ihm Recht. KPM hat eine Sensibilität, die an die Hörner einer Schnecke erinnert, wie dies sein Lehrer an den Münchner Akademie Xaver Fuhr formulierte. Einem Resultat dieser Sensibilität begegnen wir, wenn wir einen „seiner Fische“ sehen, Kreaturen, die durch ihre ohnmächtige Ausstrahlung für sich einnehmen könnten, sobald sie, ihres Elements verlustig, in unsere Welt eintauchen. KPM erhält ihnen den Glanz ihrer Schuppen, unterstreicht die Poesie der Stummen, aber auch jene wie des gefesselten Preisgegebenseins, des Bloßen, Schutzlosen. Da ist der „Akrobat“, in - und extrovertiert zugleich; das Bild, dreieckig wie ein „Flügel allein unterwegs“, der weibliche Akt, dem man die Zärtlichkeit anspürt, die ihn beglückt... KPMs Bilder ein Totem zusammengewehter Gefühle?

Bei KPMs Bildern handelt es sich immer um Sofortaufnahmen – im Wortsinn -, ein Fest-Stellen in die entrückende Schärfe oder Unschärfe. Personifizierungen aus dem lyrischen Umfeld, der Musik treten in seinem Werk in Erscheinung; Gebäude-Details wie aus Wachträumen gepflückt; Körper, die sich gemahnend an die Psyche des Betrachters lehnen; Gesichter die herüberwinken; Rauschbekanntschaften; Traumpartner, Tierphysiognomien; Schiffe, für die es nur selten einen Hafen gibt; Reliefs unverwechselbarer Landschaftszüge, die ihren eigenen Atem haben; angedeutete Deutungen, leicht wie erinnernd.

Ob Zeichnung, Gemälde, Collage, Skulptur oder Keramik-Malerei, was Karl Peter Muller macht, trägt den Abdruck seiner Hand, und darin jenen seiner Lebenslinie, seiner Biographie - ist eine visuelle Duftmarke, die an jedem seiner Objekte haftet. Man erkennt diese Werke, und glaubt, dass sie einen auch erkennen.

Roland Geiger
Heidelberg, am 18. Januar 1994

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