Begegnung mit einer komplexen Seele



Es ist an einem der ersten warmen Tage, der Himmel ist vom Vorfrühling getüncht und die Graphik aus Stämmen und Ästen begann sich über Nacht grün zu entzünden...

Aufbruch liegt in der Luft, kein Wunder, dass Karl Peter Muller gestern aus Spanien zurückkam, das ist typisch für ihn, er kommt heim, wenn andere überlegen, wo sie hinwollen könnten. Kaum ein paar Meter in Karlsruhe-Mühlburg unterwegs, weiß ich, dass dies ein Ort ist, an dem sich der Maler wohl fühlt ... sein Elternhaus in Mannheim-Käfertal fällt mir ein, unten der Bäckerladen seines Vaters, oben die Wohnung und hinten der Atelierbau - die ersten Räusche, aber immer auch Bilder, Skizzen aus dem Süden Frankreichs, aus Spanien. Muller kommt so lange nach Altea, dass er dort auch "seine Toten" hat. Muller gründete die Tangenten in der gesamten Republik mit, wurde deren Galerist mit Ausstellungen von Kokoschka, Picasso, Miro, der Gruppe Kobra, den ersten Decollagen von Vostell und Kriwet, der Gruppe junger konkreter Künstler ...ich erkenne ihn, wie er jetzt tapsig wie ein gutmütiger Bär die Tür öffnen kommt ... eine gigantische Biographie und ein einfacher, liebenswürdiger Mensch. Es ist gut, bei ihm Gast zu sein.

Karl Peter Mullers Stimme ist an dem späten Morgen noch heiser - wie mit Fetzen einer strapazierten Seelenmembrane belegt, oder deutlicher, wie langsam sich findend. Es ist ohnehin besser, zunächst die überall hängenden Bilder zu betrachten. Der Maler unterbricht das alte österreichische Lied, das er gepfiffen hat und erinnert sich plastisch, auf die Darstellung einer Ziegenherde zeigend ... "die Ziege war faszinierend, die Fülle der Herde erschlagend ..." der Mann vor mir spricht begeistert - begeisternd, eine Hand zeichnet das Wogen detailliert in die Luft, man glaubt, man könnte die Tiere berühren ... man kann kleine Tiere wie Noten schreibend anordnen, das heißt, im Grunde ordnen sie sich selbst an ... dann was ihn genauso anstieß: "Viele Menschen sind zu einfältig um zu singen, zu tanzen, das zu tun, was ihnen ihr Herz sagt" ...nachdenklich nimmt er die vorher gepfiffene Melodie wieder auf.

"Ich male die Zeichen, die ich auf der Erde, am Himmel, im Wasser finde, und wie interpunktierend: die Vergeblichkeit eine Möwe tatsächlich zu fassen, birgt im Misslingen die eigentliche Schönheit" und schließlich auf ein wundervolles Blumenbild zeigend: "Ich schneide keine Blumen ab, ich sehe sie wachsen". Landschaften mit Häusern, Bäume, weiblichen Figuren hängen in dem Raum. Die Bilder scheinen wie mit angehaltenem Atem fixiert, manifeste Spontaneität zu sein, dann ausatmend, in die Gegenwart entlassen.

Ein ahnender Geist ist am Werk, ein eruierendtastendfindender Zupacker, Zeichner, Maler, Plastiker, ein sensibler Lyriker, der seine optisch errungene Klarheit in Wortbildern kristallisieren lässt, ein Mann, auf den angewandt die Berufsbezeichnung Künstler durch das "ü" und das folgende "nstl" irgendwie zu gekünstelt wirkt.

Mullers Bildwerke resultieren aus einer kontemplativen Besessenheit. Menschliche Offenbarungen, bewegt wie sich ergebend an die Empfindung schmiegend - engauf-Distanz-Gesten, stimmungsstimmige Zwerchfellsträhnen, seltsam bloß, absolut fettlose Substanz. Karl-Peter Muller sieht direkt- und er glaubt seine Sicht. Seine Bilder sind festgemachtes Erleben - Er Leben, lebt, sagt das Werk dieses Künstlers, das ein Bekenntnis zur Freude am Da-Sein ist, weil er auch das Andere kennt, das Sich-Entfernen, Aus-Sich-Heraustreten, Außersichgeraten, was durchaus positiv sein kann.

Im Werk Karl Peter Mullers gibt es Beispiele, die eine so weit getriebene Objektivität widerspiegeln, dass man sich über die Wärme der Darstellungen wundert, als winkten einem von einem steinzeitlichen Werkzeug die Gebrauchsspuren herüber. Es kann durchaus vorkommen, dass der Maler seinen Freunden empfiehlt, Einsicht in das Wesen eines Bildes zu nehmen ... "bis das Bild lacht". Ob Ölbilder, Zeichnungen, Plastiken, nie fehlt etwas. Was man hinzudenkt, erweist sich als zuviel.

Seine Landschaften sehen organisch entwickelt auf den Betrachter. Gebirgszüge erscheinen als Reflexionen innerer Gegenden. Seine Gartenmauern sind wesenhafte Kleinodien, nach denen man Heimweh hat. Seine Bäume wachsen wie Fetische in der Erinnerung des Betrachters. Gestochene Schärfe vermittelt das herrschende Licht, das manchmal eine Lupen-Qualität haben kann. Der Betrachter sucht in Bildern seine eigenen wieder zu finden, schrieb Muller in einem Gedicht.

Er hat das "ubu" in Karlsruhe gehabt und zuletzt das "Krokodil", er war ein reicher Mann und er ist Künstler geblieben. In allen gastronomischen Betrieben hat er die Kommunikation gepflegt, hat Diskussionen mit den Regisseuren Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder veranstaltet, Malerei und Literatur gefördert, Max Bill, Calderara, Vasarelli, Scaccabarozzi, Dadameino ausgestellt, Lesungen seiner Werke durchgeführt, Konzerte veranstaltet ... "ich arbeite nicht viel, wie immer behauptet wird, ich arbeite nur kontinuierlich. Der Künstler sieht immer nach vorn, so war auch meine Verwendung von Tierkadavern als Hinweis auf eine sterbende Umwelt, die damals keine Lobby hatte, zu verstehen". Mullers Gesichtsausdruck hat diesen brütenden Aspekt verloren. Er erwähnt das für kreative Ideen immer offene Karlsruher Stadtplanungsamt und sein Engagement für die Neugestaltung des Ludwigsplatzes fast im selben Atemzug mit seinen zweiten und "dritten" Wohnsitzen in Altea/Spanien und Gozo/Malta. Spanien, wo die in privaten und öffentlichen Sammlungen hängenden Stierkampfszenen entstanden. Malta, mit seinen jahrtausenden alten Spuren schöpferischer Menschen. Er streift die Herausgabe bibliophiler Bücher und Mappen, eine Fülle von Investitionen in Arbeit; Zeugnis für einen ernsthaft spielenden Menschen und einen dionysischen Geist.

Roland Geiger

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