GeigerTänzerJäger 1994 - 96



Ein künstlerisches Scheitern bewog K. P. Muller vor etwa 15 Jahren, sich dem Gefallenwollen, dem Anknüpfen an andere Künstler, den Auswirkungen von Vermassung und Technisierung auf seine Person und seine Kunst zu entledigen. Er begab sich auf die Suche nach dem Zeichen, der „eigenen Exotik“: „Die Sehnsucht nach rudimentärer Vergangenheit beschwören / wieder unsere eigenen Zeichen suchen / versuchen zu nennen, was jetzt ist“ (aus: Gedichte in den Wind geschrieben). Auf diesem Weg des In-Sich-Gehens war die Sehnsucht nach dem fremden Ursprünglich-Archaischen die Triebfeder.

Das Ziel dieser Sehnsucht war von Kindesbeinen an Afrika - der Erdteil, in dem die Wurzeln der Menschheit liegen. Hat K. P. Muller Afrika nie selbst bereist, so ist ihm das ursprüngliche - nicht touristische - Spanien zur zweiten Heimat geworden, das Land, in dem sich die Wurzeln der frühesten Figuralkunst finden. Die Sehnsucht nach dem unbekannten Erdteil, das Wieder finden der eigenen Wurzeln über die unberührte Landschaft und die natürlich lebenden Menschen Spaniens war und ist nicht Flucht aus der technisierten Welt, sondern vielmehr Selbstschutz vor der Vermassung und der Anonymität. Sie lassen K. P. Muller den Einklang zwischen Welt und Ich empfinden.

Beim Durchblättern der Zeichnungen fühlt sich der Betrachter unweigerlich an die Wurzeln der figuralen Kunst oder an archaische Erzeugnisse der so genannten „Primitiven Kunst“ erinnert. Der Betrachter entdeckt ebenso dynamische wie anmutige, fast tänzerische Jagdszenen, die den unglaublichen Zeitraum aus paläolithischer Zeit in die heutige Zeit überdauert zu haben scheinen. Während sich hier der Vergleich mit urzeitlicher Höhlenmalerei aufdrängt, so führt uns K. P. Muller mit den im Konturstil angelegten Zeichnungen zu den frühesten Kunsthandwerkern, die Knochenstücke, Steine, Geweih oder Tierzähne mit veristischen Figurszenerien - manchmal mehrfach übereinander gelegt zur Angabe von Bewegung - verzierten. An anderer Stelle konfrontiert uns K. P. Muller mit statischen Figuren, die aufgrund ihrer manierierten Langung oder fleischigen Hervorhebung einzelner Körperteile, nicht selten einhergehend mit einer Verkümmerung ihrer Extremitäten, eine Assoziation mit rundplastischen Idolfigürchen vorgeschichtlicher Kunst zulassen. Andere Figuren verlassen dagegen die Erinnerung an altsteinzeitliche Kunst und lassen uns an afrikanische Eingeborene oder durch deren Hände entstandene Figuralplastiken denken. All diese Darstellungen sollen bewusst den Eindruck hinterlassen, „so als ob ich sie nicht gemacht hätte, so als ob es schon vor mir existiert hätte, wie ein Überbleibsel einer anderen Situation oder eine Spur einer anderen Person“.

Dazwischen fügen sich mühelos Zeichnungen ein, in denen Muller Themen aufgreift, mit denen er sich gleichzeitig oder ehemals beschäftigt hat – Stilleben, Vögel oder abstrahierende Figuren, die sich „erst entscheiden müssen, ob sie tierische oder menschliche werden“.

Den Rückgriff auf die „Primitive Kunst“ kennen wir schon aus der beginnenden Moderne, der ebenso aus Gegenwehr gegen den Materialismus entstanden ist, getrieben von einer Sehnsucht nach einem fremd gewordenen Welt- und Selbstverständnis, das unabhängig von Vorstellung und Wirklichkeit besteht. Das Ziel der Sehnsucht galt „primitiven“ Gesellschaftsstrukturen, in denen Leben und Kunst authentisch ist. Aus einer so geänderten Bewußtseinshaltung - vom Einmalig-Konkreten zum Allgemein-Universalen - resultieren auch K. P. Mullers Zeichnungen, die sich oben beschriebenen Kunstäußerungen annähern. Ob veristisch in natürlicher Bewegung oder statisch in idolhafter Verfremdung, K. P. Muller artikuliert mit seinen Einzelfiguren und Figureninszenierungen chiffrenhaft das Grundmenschliche, ureigene Grundbedürfnisse des Menschen, die nach seiner Auffassung von vorgeschichtlicher Zeit bis heute unverändert geblieben sind: „Jeder ist die gesamte Entstehungsgeschichte von Anfang an - wenn es einen Anfang gibt.“

Die hier abgedruckten Texte entäußern auf eindrückliche Weise K. P. Mullers Suche nach der „eigenen Exotik“ über das Ursprünglich-Archaische, über das, was ihm die Landschaft und die Einheimischen Spaniens oder die Vorstellung von der „Großen Mutter Afrika“ bietet. Die Textzeilen sind ein Konglomerat von spontan niedergeschriebenen Eindrücken, verweilen bei assoziativen Gedankensprüngen und Wortspielen, um sich in selbsterkennenden Äußerungen zu lösen.

Wie K. P. Muller Gemälde duften, schmecken, leben, so geht den Texten und Zeichnungen eine beseelte, lebendige Kraft aus. Sie teilen ein universales Weltempfinden aus, eine Aneignung der Natur in der Gewissheit, dass sie ein Teil seines Selbst, er wiederum ein Teil ihrer selbst ist. Textzeilen, Form und Linie sind für K. P. Muller Äußerung des In-Sich Seienden, tief in ihm verankerte Vorstellungen, die lediglich über den Mittler Hand zur Zeichnung oder zum geschriebenen Wort befreit werden. In der vorliegenden Sammlung stehen graphische, in knapp prägnantem Konturstil ausgeführte Zeichnungen neben malerisch aufgefassten Tuschezeichnungen. Diese sind durch eine klare Bildorganisation charakterisiert. Dazwischen schieben sich immer wieder schwer einsehbare Zeichnungen, deren Linien sich unablässig vernetzen, kreuzen, sich zu Schraffuren verdichten, um sich wieder in der vereinzelten Kontur zu lösen. Die Linie ist nicht nur formbeschreibend, sondern Ausdruck von Empfindung, wird zur Arabeske verdichteter Beseelung.

In allem, was K. P. Muller tut, liegt die Ausdruckskraft in der Einfachheit und der verdichteten Konzentration auf das Wesentliche, im Fragment. Nichts Geschmäcklerisches findet sich in seinen Zeichnungen und Texten, keine differenzierte Hintergrundgestaltung lenkt von dem eigentlichen Bildinhalt ab, kein stilistischer Schnörkel verschleiert die Textaussage. In Text und Bildwerk dieses feinsinnigen Menschen bildet die Ursprünglichkeit das Fundament, erkennt K. P. Muller durch sie, dass „Dein ganzes Du in Dir ist, gehst Du auch weg von Dir“.

Barbara Brähler

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