Karl Peter Muller, geboren am 28. November 1935 in Mannheim-Käfertal verstarb im August 2000 in Kandel. KPM schuf immer wieder Gesamtkunstwerke und suchte nach neuen Ausdrucksweisen. Seine Arbeit und sein Kunstverständnis leben heute in der Karl-Peter-Muller-Stiftung weiter. Das Programm ist geprägt von einer Philosophie der Grenzüberschreitungen. Grenzen zwischen herkömmlichen künstlerischen Disziplinen wie Malerei, Musik, Tanz oder Sprache treten zu Gunsten eines umfassenden Kunstbegriffes zurück. Sein Credo: „Kunst für alle“, die jedem zugänglich sein soll.

Gewinn: ist ein Lächeln erzwingen...

Dies Zitat aus der lyrischen Arbeit des Maler-Poeten K. P. Muller an den Anfang zu stellen, mag ebenso richtig wie falsch sein, es wird nur seiner vielschichtigen Persönlichkeit nicht gerecht, auch nicht seinem in seiner Vielfalt schier ungeheuerlichen Werk.

Wer ist hier nun vorzustellen? Der Mann, der nächtelang mit variablen Techniken großformatigen Leinwänden zusetzt? Der Mann, der sanfte, fast abstrakte Landschaftsimpressionen monochrom (niemals monoton) malen kann? Der Mann, der, an die Japaner gemahnend, komprimierte Wortmikrokosmen dichtet? Der Theatermann? Der abgeklärte Ich-Darsteller? Der Musiker? Der Mann, der in drei Ländern zu Hause ist (und in noch mehr Welten)?

Zu leicht, zu oft wird, nicht nur hierzulande, große künstlerische Fruchtbarkeit abgewertet, wird Vielseitigkeit mit Massenproduktion gleichgesetzt.

Machen Sie sich selbst Ihr Bild, lernen Sie einen Künstler kennen, der umstritten sein mag, der bewusst zum Widerspruch reizt, der vieles ist, nur nicht eins: langweilig!

Bodo von Langenn
Berlin 1982

Der Grenzgänger



Der Mannheimer Karl Peter Muller studierte an der Akademie der bildenden Künste in München Malerei und Grafik bei Prof. Xaver Fuhr, arbeitete später mit Kokoschka und Vedova und lässt sich bereits 21-jährig als freier Maler nieder. Malerei, Collage, Skulptur, Performance Environment sowie Musik und Literatur bilden seine künstlerische Bandbreite.

KPM steht vor allem für informelle Malerei, die er mit ausgesprochener Offenheit und Unbefangenheit pflegte. Dass dabei die Freude und der Genuss am Leben wichtige Parameter waren, wird in den intensiven Farbwelten Mullers deutlich. Die Farbflächen führen, so scheint es ein Eigenleben, wären dem Pinselstrich fast entwischt, doch die Kraft des Malers hat sie davon abgehalten, hat sie gezähmt. Werke von großer Sinnlichkeit und Eindringlichkeit, die den Geruch des ursprünglichen haben.

Das Primitive, von den Künstlern des 19. Jahrhunderts entdeckt und in die Moderne glanzvoll aufgenommen, feiert durch KPM eine Renaissance, der einer nüchternen von Technik und Wissenschaft durchdrungenen Zeit seine ganz eigene Poesie entgegenhält.

Die Freiheit der Kunst war für ihn ständig Grenzen zu überschreiten, nicht dem Mainstream zu unterliegen - schreiben und malen "bis die Fetzen flogen".

Begegnung mit einer komplexen Seele



Es ist an einem der ersten warmen Tage, der Himmel ist vom Vorfrühling getüncht und die Graphik aus Stämmen und Ästen begann sich über Nacht grün zu entzünden...

Aufbruch liegt in der Luft, kein Wunder, dass Karl Peter Muller gestern aus Spanien zurückkam, das ist typisch für ihn, er kommt heim, wenn andere überlegen, wo sie hinwollen könnten. Kaum ein paar Meter in Karlsruhe-Mühlburg unterwegs, weiß ich, dass dies ein Ort ist, an dem sich der Maler wohl fühlt ... sein Elternhaus in Mannheim-Käfertal fällt mir ein, unten der Bäckerladen seines Vaters, oben die Wohnung und hinten der Atelierbau - die ersten Räusche, aber immer auch Bilder, Skizzen aus dem Süden Frankreichs, aus Spanien. Muller kommt so lange nach Altea, dass er dort auch "seine Toten" hat. Muller gründete die Tangenten in der gesamten Republik mit, wurde deren Galerist mit Ausstellungen von Kokoschka, Picasso, Miro, der Gruppe Kobra, den ersten Decollagen von Vostell und Kriwet, der Gruppe junger konkreter Künstler ...ich erkenne ihn, wie er jetzt tapsig wie ein gutmütiger Bär die Tür öffnen kommt ... eine gigantische Biographie und ein einfacher, liebenswürdiger Mensch. Es ist gut, bei ihm Gast zu sein.

Karl Peter Mullers Stimme ist an dem späten Morgen noch heiser - wie mit Fetzen einer strapazierten Seelenmembrane belegt, oder deutlicher, wie langsam sich findend. Es ist ohnehin besser, zunächst die überall hängenden Bilder zu betrachten. Der Maler unterbricht das alte österreichische Lied, das er gepfiffen hat und erinnert sich plastisch, auf die Darstellung einer Ziegenherde zeigend ... "die Ziege war faszinierend, die Fülle der Herde erschlagend ..." der Mann vor mir spricht begeistert - begeisternd, eine Hand zeichnet das Wogen detailliert in die Luft, man glaubt, man könnte die Tiere berühren ... man kann kleine Tiere wie Noten schreibend anordnen, das heißt, im Grunde ordnen sie sich selbst an ... dann was ihn genauso anstieß: "Viele Menschen sind zu einfältig um zu singen, zu tanzen, das zu tun, was ihnen ihr Herz sagt" ...nachdenklich nimmt er die vorher gepfiffene Melodie wieder auf.

"Ich male die Zeichen, die ich auf der Erde, am Himmel, im Wasser finde, und wie interpunktierend: die Vergeblichkeit eine Möwe tatsächlich zu fassen, birgt im Misslingen die eigentliche Schönheit" und schließlich auf ein wundervolles Blumenbild zeigend: "Ich schneide keine Blumen ab, ich sehe sie wachsen". Landschaften mit Häusern, Bäume, weiblichen Figuren hängen in dem Raum. Die Bilder scheinen wie mit angehaltenem Atem fixiert, manifeste Spontaneität zu sein, dann ausatmend, in die Gegenwart entlassen.

Ein ahnender Geist ist am Werk, ein eruierendtastendfindender Zupacker, Zeichner, Maler, Plastiker, ein sensibler Lyriker, der seine optisch errungene Klarheit in Wortbildern kristallisieren lässt, ein Mann, auf den angewandt die Berufsbezeichnung Künstler durch das "ü" und das folgende "nstl" irgendwie zu gekünstelt wirkt.

Mullers Bildwerke resultieren aus einer kontemplativen Besessenheit. Menschliche Offenbarungen, bewegt wie sich ergebend an die Empfindung schmiegend - engauf-Distanz-Gesten, stimmungsstimmige Zwerchfellsträhnen, seltsam bloß, absolut fettlose Substanz. Karl-Peter Muller sieht direkt- und er glaubt seine Sicht. Seine Bilder sind festgemachtes Erleben - Er Leben, lebt, sagt das Werk dieses Künstlers, das ein Bekenntnis zur Freude am Da-Sein ist, weil er auch das Andere kennt, das Sich-Entfernen, Aus-Sich-Heraustreten, Außersichgeraten, was durchaus positiv sein kann.

Im Werk Karl Peter Mullers gibt es Beispiele, die eine so weit getriebene Objektivität widerspiegeln, dass man sich über die Wärme der Darstellungen wundert, als winkten einem von einem steinzeitlichen Werkzeug die Gebrauchsspuren herüber. Es kann durchaus vorkommen, dass der Maler seinen Freunden empfiehlt, Einsicht in das Wesen eines Bildes zu nehmen ... "bis das Bild lacht". Ob Ölbilder, Zeichnungen, Plastiken, nie fehlt etwas. Was man hinzudenkt, erweist sich als zuviel.

Seine Landschaften sehen organisch entwickelt auf den Betrachter. Gebirgszüge erscheinen als Reflexionen innerer Gegenden. Seine Gartenmauern sind wesenhafte Kleinodien, nach denen man Heimweh hat. Seine Bäume wachsen wie Fetische in der Erinnerung des Betrachters. Gestochene Schärfe vermittelt das herrschende Licht, das manchmal eine Lupen-Qualität haben kann. Der Betrachter sucht in Bildern seine eigenen wieder zu finden, schrieb Muller in einem Gedicht.

Er hat das "ubu" in Karlsruhe gehabt und zuletzt das "Krokodil", er war ein reicher Mann und er ist Künstler geblieben. In allen gastronomischen Betrieben hat er die Kommunikation gepflegt, hat Diskussionen mit den Regisseuren Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder veranstaltet, Malerei und Literatur gefördert, Max Bill, Calderara, Vasarelli, Scaccabarozzi, Dadameino ausgestellt, Lesungen seiner Werke durchgeführt, Konzerte veranstaltet ... "ich arbeite nicht viel, wie immer behauptet wird, ich arbeite nur kontinuierlich. Der Künstler sieht immer nach vorn, so war auch meine Verwendung von Tierkadavern als Hinweis auf eine sterbende Umwelt, die damals keine Lobby hatte, zu verstehen". Mullers Gesichtsausdruck hat diesen brütenden Aspekt verloren. Er erwähnt das für kreative Ideen immer offene Karlsruher Stadtplanungsamt und sein Engagement für die Neugestaltung des Ludwigsplatzes fast im selben Atemzug mit seinen zweiten und "dritten" Wohnsitzen in Altea/Spanien und Gozo/Malta. Spanien, wo die in privaten und öffentlichen Sammlungen hängenden Stierkampfszenen entstanden. Malta, mit seinen jahrtausenden alten Spuren schöpferischer Menschen. Er streift die Herausgabe bibliophiler Bücher und Mappen, eine Fülle von Investitionen in Arbeit; Zeugnis für einen ernsthaft spielenden Menschen und einen dionysischen Geist.

Roland Geiger

Gedanken – Überlegungen



Für Karl Peter Muller (KPM) war Kunst Berufung, permanent Aufgabe, Arbeit und Freiheit zugleich. Er suchte stets den Ursprung, die Wurzel zu ergründen. Hierbei war die Reduzierung alles Gesehenen, Gehörten, Gerochenen, Geschmeckten, Gefühlten und Empfundenen sowie dessen künstlerische Transponierung und Gestaltung der Motor seiner unermüdlichen Schaffenskraft in Bild, Farbe, Form, Wort und Ton. Die LINIE wurde in seiner persönlichen Entwicklung als Maler neben dem zu bearbeitenden Thema immer wesentlicher, sowohl in ihrer Bedeutung als AUSGRENZUNG, wie auch gleichzeitig als EINSCHRÄNKUNG. Sie schaffte ihm als Künstler die Möglichkeit hinter seinen Horizont zu sehen.

„In der Phase der Entwicklung der Linie“, so schrieb er einmal „wurde mir ein Gras oder auch ein Strohhalm zu einer stärker wahrnehmbaren Linie, als das zitternd-seismographische Zeichen meiner Hand, dazu kommen noch der Lichteinfall und der Schatten des Grases. Mit dieser Logik entstanden meine ersten Strohcollagen im Elsass, das zu meiner Heimat (und auch zu seiner letzten Ruhestätte) wurde.“



Dieser Logik folgend entstanden neben den Bildern, Collagen und Texten zum Thema ’die Grasharfe’ auch Reliefs und Assemblagen, einige wurden in Bronze umgesetzt. Ihm ging es stets darum, seine EIGENE LINIE zu finden.

Am Anfang seiner Kunst stand die Beobachtung. Bei Kokoschka ging er in die Schule des Sehens. „Ich habe das Sehen trainiert und immer wieder das Zeichnen, um meine eigene Linie zu finden und hinter dieser herzulaufen. Durch Reduktion will ich die Unruhe verbannen, den nervösen Strich, um ohne anzuhalten die Linie wie ein Kind lauten zu lassen, so weit sie geht, auch über das Blatt, über die Leinwand hinaus. Daher habe ich auch immer wieder Blindzeichnungen geübt, die für mich eine ganz andere, besondere Spannung entwickeln. Das Reduzierende, die ganz leise Spannung, die auf der Leinwand durch immer wieder brechende Linien entsteht, führt bei mir dann letztendlich in eine Befreiung. Man meint in solchen Momenten, seine eigene große Linie zu spüren und gefunden zu haben.

Mein Bestreben ist es, die Spannung in der Stille durch die Linie und durch die Kultivierung dieser Linie zu bewahren. Hierfür bietet mir das tägliche Sehtraining eine gute Chance, die von außen auf mich ständig einstürzende Reizüberflutung abzublocken, um mich dann auf das Wesentliche konzentrieren zu können.“

„Zunächst gilt es, Grundierungen zu schaffen auf Leinwand oder Papier, die wie natürlich gewachsen sind, wie Haut, wie die Oberfläche eines Felsens, wie Pergament; mit Erdfarben eigene Farbigkeiten entwickeln, um darauf wieder im ständigen Vor und Zurück dann Zeichen zu setzen, so dass im Verlauf des Arbeitsprozesses eine Homogenität entsteht. Dieses Voranschreiten ist ein langsamer und kein eruptiver Prozess. Es ist ein Meditationsprozess. Es ist nicht die schnelle Zeichnung, die ja durch schnelles, präzises Sehen aus der Bewegung heraus entsteht. Dies sind meine täglichen Etüden, so wie sie auch Picasso pflegte.

Dies ist das Repertoire, das ich mir als Maler allmählich schaffe und das man letztlich auch selbst ist. Aus diesen Formen entstehen wiederum neue Formen, die aber trotzdem die alten sind. Alles ist bereits vorhanden. Es gilt jedoch für einen jeden, seine eigene Form zu FINDEN. Auch sie ist schon vorhanden.

Deshalb wird ein Fundstück für mich erst dann zum eigentlichen Fundstück, wenn ich es aufhebe bzw. wenn ich es hervorhebe. Es heißt ja deshalb auch, seine eigene Linie FINDEN.“ Das Gestalten, Malen, Formen, Zeichnen ging in seinem Leben immer allem anderen voran. In keinem Fall bestand für ihn die Maxime des Davor-Stehens vor einem Bild, sondern eher umgekehrt, d.h. hinter das Bild treten, das Bild selbst sprechen lassen, die Stille suchen und nicht das Laute.

Einen hohen Stellenwert hatte in der Zeit von ca. 1984 - 94 seine Lehrtätigkeit an verschiedenen privaten Sommer- und Winterakademien. Es war dies auch für seine persönliche Entwicklung eine sehr wichtige und prägende Phase; einen Umgang mit wachen, denkenden, aufgeschlossenen und interessierten Menschen (viele übten selbst Lehrberufe aus) zu pflegen, und sich selbst ständig zu überprüfen und zu hinterfragen („Was hast Du nun wirklich mitzuteilen?“).

Aus diesen Kursen zog er sich die Begabtesten und Einfühlsamsten heraus, um mit ihnen gemeinsam in seinem Atelier in Maximiliansau mit gezielten thematisch ausgerichteten Programmen und Workshops ein Gedanken und Themen weiterzuführen und zu vertiefen. Im Verlauf dieser 10 Jahre sind einige eigenständige Überlegungen und Ergebnisse entstanden.

Insbesondere folgende Themen beschäftigten ihn und seine Schüler bei den gemeinsamen Arbeiten in jener Zeit: Zwischenräume | Denk – mal | Schamane – Hohepriester – Fetischismus | Selbstbemalung | Klangfarbe – Klangteppich | Kontrapunktik in der Malerei arbeiten | Vom Boden aus | Über das Absurde, Heitere und Zufällige in der Kunst | Es gibt keinen Zufall | Sisyphos | Sisyphos als heiterer Mensch | Die Summe aller kleinen Schritte ist der Weg | Rauminstallationen | Bühne und Bühnenbild; selbst entwickelte Performance | Die Linie zwischen den Figuren | Arbeiten mit Abfallmaterialien (Schrott – Pflanzen – Tücher – Abfallpapiere – FUNDSTÜCKE) | In jedem Fall aufnehmen, was da ist | Schreitend – zeichnen; Zeichnend - schreiten | Collage mit Linol- und Holzschnitt | Textcollage | Linien schneiden – der Schere folgen | Einlassen auf die Grenze dieser Linie (Henri Matisse) | Ritzungen – Schabungen - Verwundungen | Scraffiti und Wandmalerei | Auseinandersetzung mit unserem Umfeld | Auseinandersetzung mit dem herkömmlichen Lebenslauf.

Tara's Zimmer

Wände - Böden, nicht der Boden - wo nichts war, ist etwas, spricht, flüstert, wispert. Dieser Raum ist eine Einheit der zurückhaltenden Töne, eine sowohl optische als auch klingende Komposition der über den Kopf gezogenen Blößen, des fruchtbaren Gangs und der trächtigen Rücken. Mutterbänder und Pferdeschenkelstärken, wiehernder Hals und gottgleiche Frisuren. Alles in sämtlichen, nein versammelten Ockerfarbstimmungen. Ein Ereignis wie ein abblätternder Fanfarenstoß, der in einer Zisterne versinkt. Erregungs-modulationen aus schwarzen Konturen, weißen Schatten und dies alles im Wetterleuchten der Umgebung... dem feststellenden Blitz des kreativen Halts. Hier hat das Herz, haben die Stromstöße des Pulses reagiert. Nichts ist justiert; nur die Spontaneität bebt nach, rüttelt nicht, ist nur da, nicht wie Atem, eher wie ein Vakuum, ein Loch aus visuellen Gedanken, anziehend, abstoßend… massiv-transparent.

Nichts ist, wie es war, vor dieser Begegnung, eine Idee nur, das versteinerte Spinnengewebe. Meine eigenen Zeilen fallen mir ein, dieser sakrale Raum hat seine eigene Intimität, merkwürdig, dass er keinen Geruch abgibt. Sein Lichthat er, nimmt es mit zu neuen Ufern… und eigene Temperatur, die in dieser Geschlossenheit heimisch war, kann solange der Raum zusammen bleibt, nicht verändert werden. Man denke an die objektive Subjektivität, die Wasser für den Mensch des Südens hat, an das, was diesem Phänomen - ja auch förmlich in der Uniform des Fliessenden - anhaftet. Du musst etwas vom Akzeptieren des Göttlichen - wie ich es verstehe – angenommen haben, alter Freund... etwas von der tatsächlichen Verantwortlichkeit Gottes - auch für die Heiden unserer Arroganz... So einfach ist das! Dieses Zwischending von Hingeworfenem und Akribischem hat etwas von Selbstauslotendem... der Mensch muss sich bei Gott selbst mit einbringen, dann kann, im besten Falle, das Produkt eine gestammelte Hymne werden. Und diese Atmosphäre erreicht mich, bei aller Perfektion und unglaublichen Sicherheit der Wahl - direkt wie dominierend.

Roland Geiger
Heidelberg, den 14.07.1998

Golfin'

Als ihn ein Freund bat, den 1. Preis für das von ihm veranstaltete Golfturnier zu entwerfen, antwortete der Mannheimer Künstler und Grenzgänger Karl Peter Muller gleich mit einer ganzen Serie ausdrucksstarker Golfbilder. Die zwischen 1997 und 1999 unter dem Titel „Golfin’“ entstandenen Gemälde ästhetisieren die ganze Dynamik dieses edlen Sports und üben nicht nur auf seine Liebhaber eine einzigartige Faszination aus.


Ein Porträtist kreativer Erregung

Wir kennen uns seit nahezu 40 Jahren und unsere Gesprächsthemen sind so oft noch dieselben, daß ich mich manchmal frage, wer wir damals waren... Felszeichnungen und Religionen, Lyriker und Gedichte, Musikstücke, Jazzmusik, Weine, Schnapse, Lieder jeder Herkunft, grafische Techniken, Theater, Kino, Konzerte, Kurzgeschichten, - Hunger, Heißhunger fällt mir ein, wenn ich an den Maler Karl Peter Muller denke, und, dass ich diesen Text in dem Tempo schreiben sollte, in dem er malt, in dem er am Motiv zerrt, reißt, schlingt, ausspuckt, kaut und verdaut, aufblickt, fixiert und von Neuem beginnt... KPM ist so spontan wie ein Augenaufschlag, elektrisiert wo sein Interesse aufspringt, und dabei bedacht wie ein Mönch inmitten der Fastenzeit. - So muss auch dieses "Schwanenbild" entstanden sein, mein Favorit unter den großen Werken des Künstlers. Man spürt die bloß liegenden Nerven, die bis in die Pinselenden zu reichen scheinen, um so die Farben mit Leben zu belegen... diese Komposition auf den Schnäbeln beruhend, auf deren Formen und identischen Farben, die an vielen Stellen ihren inszenierten Auftritt haben. den Körper- und Federfetzen Halt geben und die einzelnen Stücke letztlich zu einem aufregenden Ganzen gerinnen lassen. Das großformatige Gemälde ist so kraftvoll und dabei so einfach erlebt, dass man seinen Realitätsbezug keine Sekunde bezweifelt.

Alles, was KPM malt, scheint uns von seinem Inneren her zu erreichen... nicht sofort und auch nicht immer in seiner vollen Bedeutung, aber immer so, dass das Objekt den Betrachter an - stößt, die wichtigste Voraussetzung für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Werk, und so ein eventuelles Verständnis. Und KPM will verstanden werden.

Manchmal habe ich bei der Begegnung mit einem seiner Bilder den Eindruck, als habe er damit die Zeit angehalten. KPM hat diese Schwäne an- und aufgenommen wie einen Gegner, er umfasste das gravitätische „Gehabe“ der großen Vögel, deren Ruhe, das Verhältnis der Schnäbel zueinander, die weißen, grauen, schwarzen Federschwerenelemente hin und zurück, das aufmerksame Luren des runden Blicks, der unser Sehen bewegt und die elegant „gebogenen Mittel“ und ihr verbindendes Wirken, die Bewegung der Tiere zum großen komponierten Schlussakkord, jenem Moment, in dem das Erlebnis gefiltert im Wolfsmagen angekommen und der Leinwand übergeben ist... einzelne Korrekturen nicht mehr grundsätzlicher Art vorgenommen sind, das Werk steht - und es blickt dich an.

Eines der Skizzenbücher ist auf der Außenseite mit dem Relikt einer toten Eidechse versehen, einer fern-gewordenen Existenz, einer Zwischenrealität. Geronnene Haltungsgesten menschlicher Gestalten verweisen auf sich selbst. Bei KPM ist nie etwas zaghaft. Er malt und zeichnet nur was er meint, und dies, weil er dies weiß - malt oder zeichnet er nachdrücklich, auch wenn es zart erscheint! Wenn ich weiter oben sagte, dass uns das Schwanenbild anblickt, so war dies wörtlich gemeint.

Ob Akt, Landschaft, Menschengruppen, Muller steht im Mittelpunkt und sieht, er stellt uns diese Motive vor, gegenüber ist nichts anderes. Zeichnungen beispielsweise, die beim Anblick hell wach sind! Lebendige Details! Kontemplative Straßen! Vegetative Charaktere! In seinem Strich glimmt immer auch - als sei dies durch die Berührung mit dem Stift geschehen - Poesie!

Das unterschiedliche Licht ist so selbstverständlich, dass die Quelle so gut wie nie in Erscheinung tritt! Ein aus seinem Inneren heraus scheinender Baum, ein Strauch, der - für den Moment dieser Wahrnehmung - auf seine Weise zu glühen scheint! Ein in vertrauter Wärme leuchtender Berg! Das Pferd, dessen Puls sichtbar ist! Wolkenkonstellationen von Licht gesäumt! Küstenfäden wie die bezeichnende Seismographie eines Gebirgszuges! Hauchdünne und gehärtete Linien aus Ölfarben, Kohle und Bleistift, Erregungszeugnisse der Tusche- und Rohrfeder... auf Leinwänden, Papier, Keramik, alles folgt einer eigentlichen Ordnung, jener des Malers. Reagiert die menschliche Chemie nicht etwa auf die Fieberkurve eines Berges, auf dieses alarmierende Flachsfeld, der Unmittelbarkeit einer Meeresdünung. Öffnet die Schleusen, hatte Henry Miller gefordert, und KPM hat es gehört. Etwas von nie untergegangener Archaik wird in seinem Werk deutlich. Kultivierte Primitivität? Ein Acker wächst in Schichten hoch. Häuser schieben sich zu einem Dorf ineinander. Kleine Ebenen bilden auslaufende Schwerpunkte. Kathedralen – verwischt - vergänglich - könnten Interpunktionen sein. Ein Strand kommt plastisch, eine Treppe weich ins Bild, der Torbogen steht souverän in der Zeit. KPM konzentriert durch Weglassen.

Er zeichnet wo er geht und steht, ein Engagement, das zur Folge hat, dass der Künstler jede seiner Vorstellungen sofort realisieren kann. Und: Realität ist für ihn sein Bild. Von äußerster Reduktion bis zu barockem Verschwendertum kommt alles von. Seit vielen Jahren Gast in mediterranen „Nähen“ berauschen ihn dort Lichter wie Schatten und die Schatten von Schatten, Dachlandschaften in ihrer verschobenen Klariert... „Meine Unsicherheit wächst mit meiner Erfahrung“, schrieb er 1989 in einem Skizzenbuch. Und: „Nicht mehr einfangen lassen von Gewohnheiten [gewöhnen = anpassen]“ - woanders. KPM, früher ein geselliger Mensch, lebt heute zurückgezogen. Ein Mann, der mit seinen Kräften -haushält, und die Reserven in seine Kunst investiert. „Kunst ist, es bewusst zu machen“, sagte er auf einer gemeinsamen Autofahrt. Und noch etwas hat sich bei ihm mit den Jahren geändert: KPM redet nicht mehr als nötig. Er achtet jedes Wort von Substanz.

Seine Bilder erinnern mich an Chiffren, niedergeschlagen wie warmer Regen, der die Erde zu animalischen Leben anregt... ein Besuch bei ihm ist in einer ruhigen Weise beflügelnd. Er scheint mir organisch organisiert zu sein, - wie der Flug eines Vogels. Der Künstler schält Schichten seines Motivs, hält inne, betrachtet, lebt, wägt ab. trinkt einen Schluck, setzt ein, lernt den Kern kennen, wendet ihn an - oder nicht, er notiert das Vorgefundene, das Produkt des Sezierens. KPM fragt nie, und schon gar nicht was erlaubt ist. Er ist überzeugt, dass er alles darf. Und die Erfahrung gibt ihm Recht. KPM hat eine Sensibilität, die an die Hörner einer Schnecke erinnert, wie dies sein Lehrer an den Münchner Akademie Xaver Fuhr formulierte. Einem Resultat dieser Sensibilität begegnen wir, wenn wir einen „seiner Fische“ sehen, Kreaturen, die durch ihre ohnmächtige Ausstrahlung für sich einnehmen könnten, sobald sie, ihres Elements verlustig, in unsere Welt eintauchen. KPM erhält ihnen den Glanz ihrer Schuppen, unterstreicht die Poesie der Stummen, aber auch jene wie des gefesselten Preisgegebenseins, des Bloßen, Schutzlosen. Da ist der „Akrobat“, in - und extrovertiert zugleich; das Bild, dreieckig wie ein „Flügel allein unterwegs“, der weibliche Akt, dem man die Zärtlichkeit anspürt, die ihn beglückt... KPMs Bilder ein Totem zusammengewehter Gefühle?

Bei KPMs Bildern handelt es sich immer um Sofortaufnahmen – im Wortsinn -, ein Fest-Stellen in die entrückende Schärfe oder Unschärfe. Personifizierungen aus dem lyrischen Umfeld, der Musik treten in seinem Werk in Erscheinung; Gebäude-Details wie aus Wachträumen gepflückt; Körper, die sich gemahnend an die Psyche des Betrachters lehnen; Gesichter die herüberwinken; Rauschbekanntschaften; Traumpartner, Tierphysiognomien; Schiffe, für die es nur selten einen Hafen gibt; Reliefs unverwechselbarer Landschaftszüge, die ihren eigenen Atem haben; angedeutete Deutungen, leicht wie erinnernd.

Ob Zeichnung, Gemälde, Collage, Skulptur oder Keramik-Malerei, was Karl Peter Muller macht, trägt den Abdruck seiner Hand, und darin jenen seiner Lebenslinie, seiner Biographie - ist eine visuelle Duftmarke, die an jedem seiner Objekte haftet. Man erkennt diese Werke, und glaubt, dass sie einen auch erkennen.

Roland Geiger
Heidelberg, am 18. Januar 1994

Muller 1962



Der am 28. November 1935 in Mannheim geborene und heute am Fuße des Schwarzwaldes in Karlsruhe lebende Maler Karl Peter Müller ist, im Gegensatz zu vielen seiner zeitgenössischen Kollegen, kein ausschließlich nur instinktiv und unbewußt schaffender Künstler. Er ist auch nicht der sehr in Mode stehenden und fast landläufigen Ansicht, dass das Wissen um den Organismus der künstlerischen Idee das Erfühlen, Erkennen und Gestalten schmälere oder gar zerstöre.

Sein Weg, der ihn von einer Mannheimer Höheren Schule an die Münchener Akademie der Bildenden Künste führte, wo sein Landsmann Xaver Fuhr ihn unterrichtete, ein Jahr im Dachauer Moos sowie Reisen in Südfrankreich, Spanien und Schweden gaben Gelegenheit genug, über die Grundlagen der ihm zur Verfügung stehenden künstlerischen Mittel nachzudenken. Von zuhaus aus an [diszipliniertes Denken gewöhnt, ist Kunst für Müller keine genießerisch lose Unterhaltung, sondern zwingende Verpflichtung zur Formung. Im Erkennen des Korrespondenzverhältnisses von formaler Zeichensetzung und inhaltlicher Bedeutung geriet Müller an die Grundstruktur des inneren Mechanismus des Kunstwerkes. Damit schnitt er das Zentralproblem des Ineinandergreifens von Denksystem, Kunstform und Weltgehalt beim Kunstwerk an, ohne darüber jedoch zu vergessen, dass die bildende Kunst eine Zeichen- und keine Begriffssprache ist wie etwa ihre abstrakte Schwester, die Philosophie. Geheimnis und Wesen der bildenden Kunst ist die innige Verkoppelung des sichtbar Materiellen mit dem unsichtbar Geistigen.

Diese Transsubstantiation der Kunst ist für Müller weit mehr als nur eine vage Floskel. Seine durch ihre innere Wahrhaftigkeit überzeugenden Bilder beweisen dies augenfällig. Obwohl sich seine Abstraktion nie völlig von dem Naturvorbild löst, tritt die visuelle Beziehung zwischen Objekt und Wiedergabe nur noch bedingt in Erscheinung. Vielfach wird die Farbe zum eindeutigen Träger des geistigen Bildinhaltes, wobei Flächen von meist ageometrischer Form den Gegenstand der künstlerischen Emotion nur noch ahnen lassen. Trotz sehr realer Titel sind die Bildinhalte geformte und gestaltete Wiederkehr innerer Erlebnisse, von denen jedes der ausgestellten Gemälde sein Gepräge empfängt. Damit wird es zur Sinnform einer uns zugehörigen Welt, die Karl Peter Müller ins Geistig-Sinnbildhafte erhob.

Toni Peter Kleinhans
1962

GeigerTänzerJäger 1994 - 96



Ein künstlerisches Scheitern bewog K. P. Muller vor etwa 15 Jahren, sich dem Gefallenwollen, dem Anknüpfen an andere Künstler, den Auswirkungen von Vermassung und Technisierung auf seine Person und seine Kunst zu entledigen. Er begab sich auf die Suche nach dem Zeichen, der „eigenen Exotik“: „Die Sehnsucht nach rudimentärer Vergangenheit beschwören / wieder unsere eigenen Zeichen suchen / versuchen zu nennen, was jetzt ist“ (aus: Gedichte in den Wind geschrieben). Auf diesem Weg des In-Sich-Gehens war die Sehnsucht nach dem fremden Ursprünglich-Archaischen die Triebfeder.

Das Ziel dieser Sehnsucht war von Kindesbeinen an Afrika - der Erdteil, in dem die Wurzeln der Menschheit liegen. Hat K. P. Muller Afrika nie selbst bereist, so ist ihm das ursprüngliche - nicht touristische - Spanien zur zweiten Heimat geworden, das Land, in dem sich die Wurzeln der frühesten Figuralkunst finden. Die Sehnsucht nach dem unbekannten Erdteil, das Wieder finden der eigenen Wurzeln über die unberührte Landschaft und die natürlich lebenden Menschen Spaniens war und ist nicht Flucht aus der technisierten Welt, sondern vielmehr Selbstschutz vor der Vermassung und der Anonymität. Sie lassen K. P. Muller den Einklang zwischen Welt und Ich empfinden.

Beim Durchblättern der Zeichnungen fühlt sich der Betrachter unweigerlich an die Wurzeln der figuralen Kunst oder an archaische Erzeugnisse der so genannten „Primitiven Kunst“ erinnert. Der Betrachter entdeckt ebenso dynamische wie anmutige, fast tänzerische Jagdszenen, die den unglaublichen Zeitraum aus paläolithischer Zeit in die heutige Zeit überdauert zu haben scheinen. Während sich hier der Vergleich mit urzeitlicher Höhlenmalerei aufdrängt, so führt uns K. P. Muller mit den im Konturstil angelegten Zeichnungen zu den frühesten Kunsthandwerkern, die Knochenstücke, Steine, Geweih oder Tierzähne mit veristischen Figurszenerien - manchmal mehrfach übereinander gelegt zur Angabe von Bewegung - verzierten. An anderer Stelle konfrontiert uns K. P. Muller mit statischen Figuren, die aufgrund ihrer manierierten Langung oder fleischigen Hervorhebung einzelner Körperteile, nicht selten einhergehend mit einer Verkümmerung ihrer Extremitäten, eine Assoziation mit rundplastischen Idolfigürchen vorgeschichtlicher Kunst zulassen. Andere Figuren verlassen dagegen die Erinnerung an altsteinzeitliche Kunst und lassen uns an afrikanische Eingeborene oder durch deren Hände entstandene Figuralplastiken denken. All diese Darstellungen sollen bewusst den Eindruck hinterlassen, „so als ob ich sie nicht gemacht hätte, so als ob es schon vor mir existiert hätte, wie ein Überbleibsel einer anderen Situation oder eine Spur einer anderen Person“.

Dazwischen fügen sich mühelos Zeichnungen ein, in denen Muller Themen aufgreift, mit denen er sich gleichzeitig oder ehemals beschäftigt hat – Stilleben, Vögel oder abstrahierende Figuren, die sich „erst entscheiden müssen, ob sie tierische oder menschliche werden“.

Den Rückgriff auf die „Primitive Kunst“ kennen wir schon aus der beginnenden Moderne, der ebenso aus Gegenwehr gegen den Materialismus entstanden ist, getrieben von einer Sehnsucht nach einem fremd gewordenen Welt- und Selbstverständnis, das unabhängig von Vorstellung und Wirklichkeit besteht. Das Ziel der Sehnsucht galt „primitiven“ Gesellschaftsstrukturen, in denen Leben und Kunst authentisch ist. Aus einer so geänderten Bewußtseinshaltung - vom Einmalig-Konkreten zum Allgemein-Universalen - resultieren auch K. P. Mullers Zeichnungen, die sich oben beschriebenen Kunstäußerungen annähern. Ob veristisch in natürlicher Bewegung oder statisch in idolhafter Verfremdung, K. P. Muller artikuliert mit seinen Einzelfiguren und Figureninszenierungen chiffrenhaft das Grundmenschliche, ureigene Grundbedürfnisse des Menschen, die nach seiner Auffassung von vorgeschichtlicher Zeit bis heute unverändert geblieben sind: „Jeder ist die gesamte Entstehungsgeschichte von Anfang an - wenn es einen Anfang gibt.“

Die hier abgedruckten Texte entäußern auf eindrückliche Weise K. P. Mullers Suche nach der „eigenen Exotik“ über das Ursprünglich-Archaische, über das, was ihm die Landschaft und die Einheimischen Spaniens oder die Vorstellung von der „Großen Mutter Afrika“ bietet. Die Textzeilen sind ein Konglomerat von spontan niedergeschriebenen Eindrücken, verweilen bei assoziativen Gedankensprüngen und Wortspielen, um sich in selbsterkennenden Äußerungen zu lösen.

Wie K. P. Muller Gemälde duften, schmecken, leben, so geht den Texten und Zeichnungen eine beseelte, lebendige Kraft aus. Sie teilen ein universales Weltempfinden aus, eine Aneignung der Natur in der Gewissheit, dass sie ein Teil seines Selbst, er wiederum ein Teil ihrer selbst ist. Textzeilen, Form und Linie sind für K. P. Muller Äußerung des In-Sich Seienden, tief in ihm verankerte Vorstellungen, die lediglich über den Mittler Hand zur Zeichnung oder zum geschriebenen Wort befreit werden. In der vorliegenden Sammlung stehen graphische, in knapp prägnantem Konturstil ausgeführte Zeichnungen neben malerisch aufgefassten Tuschezeichnungen. Diese sind durch eine klare Bildorganisation charakterisiert. Dazwischen schieben sich immer wieder schwer einsehbare Zeichnungen, deren Linien sich unablässig vernetzen, kreuzen, sich zu Schraffuren verdichten, um sich wieder in der vereinzelten Kontur zu lösen. Die Linie ist nicht nur formbeschreibend, sondern Ausdruck von Empfindung, wird zur Arabeske verdichteter Beseelung.

In allem, was K. P. Muller tut, liegt die Ausdruckskraft in der Einfachheit und der verdichteten Konzentration auf das Wesentliche, im Fragment. Nichts Geschmäcklerisches findet sich in seinen Zeichnungen und Texten, keine differenzierte Hintergrundgestaltung lenkt von dem eigentlichen Bildinhalt ab, kein stilistischer Schnörkel verschleiert die Textaussage. In Text und Bildwerk dieses feinsinnigen Menschen bildet die Ursprünglichkeit das Fundament, erkennt K. P. Muller durch sie, dass „Dein ganzes Du in Dir ist, gehst Du auch weg von Dir“.

Barbara Brähler

Zeichen so nah wie der eigene Atem

Sind wir alle mit dem Künstler, den Zeichner Karl Peter Muller verwandt? Oder worin besteht sonst diese Hingezogenheit zu seinen zum Teil winzigen Skizzen, die er in den SKIZZENBÜCHERN FÜR EINE Zeit zu versammeln scheint, in der Zeichnen einer Vergangenheit zugehörig sein wird.

Diese Zeichnungen erscheinen mir wie entzündet und ich meine jene Entzündung, die irgendwo auf der Haut entstehen kann ebenso wie die, die sich einer Lunte entlangbrennt... Karl Peter Muller ist ein Besessener und er ist ein großer Liebender. Als ewig Gebender hat er kaum bis keine Reserven und muss aus diesem Grund darauf bestehen, dass die Welt ihn so liebt wie er sie. Das ist Erfahrungssache und letztlich abseits von allem Egoismus. Karl Peter Muller ist, ja er muss zwangsläufig ein Egoist sein und doch ist er nicht auch genauso zwangsläufig das Maß aller Dinge? Ich erinnere mich, wie er angesichts eines seiner wundervoll komponierten Vogel-Gemälde sagte, dass Penk ein ähnlich sicheres Gespür für das Setzen von Konstellationen habe. Aber ich sollte mich auf KPM, wie er genannt wird, als Zeichner beschränken und konzentrieren - konzentrierend beschränken also.

Der Künstler zeichnet alles. Wer die Skizzenbücher ansieht, diese über das verhältnismäßig mittlere Format der Folianten sieht und feststellt, dass die dort „wie gebändigt“ agierenden Protagonisten an fast allen Stellen des weißen Untergrunds aus dem Hintergrund heraus in unsere Phantasie und von dieser geradewegs in die Erinnerung streben, wer diese Wirkung „auf sich selbst“ registriert hat, muss wahr-nehmen, dass er es mit einem lebendigen Aspekt der Kunst zu tun hat.

Hat dieser Mensch dieselbe Temperatur wie wir? Oft erscheinen mir seine Zeichnungen wie von einem Angefallenen fixiert, von einem Fiebrigen niedergeschrieben... ein flüchtiges Testament vielleicht, ein wertfreies Glaubensbekenntnis. Die Investition eines umfassend Verliebten. KPM zeichnet, sagte ich, alles. Er muss alles zeichnen, weil alles sein Interesse erweckt. Und wenn dieses geweckt - wach - ist, treibt es dem Künstler Bleistift, Filzschreiber, Tuschefederhalter oder Rohrfeder in die Hand... scheint ihm das r i c h t i g e, technische Werkzeug zuzuwehen.

Graphit kommt auf Rötel vor. Bei KPM ist alles - habe ich festgestellt - ist alles möglich, zumindest wird alles versucht - und vieles gelingt.

Der Künstler liebt Fische, ihre Form und ihre komplexe Farblichkeit... ist es eine Begegnung mit „seinem Ur-Fisch“ oder eine prophetische mit dem Tier künftiger Tage? Fragt man sich, dabei ertappend, dass man für den „seltsam gefesselt“ wirkenden Fremdling aus dem nassen Element Sympathie empfindet. Empfand man diese nicht überhaupt nur und wenn nicht generell, so doch vielleicht stärker, tiefer in Gesellschaft des Künstlers, jener seiner Fisch-Darstellungen, seiner Bilder allgemein?

KPM kann anregend und inspirierend wirken, er konnte das schon immer. Nach einer gemeinsamen Zeit in München, haben wir nur noch sporadisch und über Dritte voneinander gehört. Er wurde reich und er wurde gefleddert. Seinem Selbstverständnis nach Künstler - er schreibt Gedichte und Prosatexte, macht Gesang-Performances und ist Schöpfer keramischer Skulpturen, ist in jeder der bildenden Künste bis hin zu Installationen und Glasfenstern zu Hause...

Muller leidet wie er liebt, mit ganzem Herzen, der ganze Mensch und selbst sein Husten und er formt - wie Orpheus, dem meine Freundin, die griechisch-amerikanische Lyrikerin Eleni Fortouni unterstellt, er habe sich im Hades voll Absicht nach Euridike umgesehen, um ihren Verlust in Versen betrauern zu können... Karl Peter Muller formte aus diesem Leid neue Bilder, denn nur was ihm tatsächlich nahe war, konnte er uns auch anhaftend mit-teilen. Mullers Bilder haften an. Noch heute ist mir das Gesicht jenes vollblütig-entgleisten Insassen im „Narrenschiff“ von 1950 gegenwärtig; die gewandte Gewalt des Stieres auf den frühen Kampfszenen Mann gegen Tier, der hüpfend-pickende Hühner-Strauß, der ebenfalls eine Zeichnung war (mit dem ich damals meinen Zahnarzt bezahlte).

In einem der Skizzenbücher fand ich den faszinierenden Auftritt eines „Barschballetts“, das mich an einen Kartengruß nach Jahren des Nichttreffens erinnerte. Nicht mehr und nicht weniger als zwei Fische, die da liegen und wie ich noch gut weiß, meinen Puls irritierten.

„Ich nehme die Emotion an, auch wenn sie beunruhigt oder erschreckt“, schrieb Muller irgendwo, gut tut er daran. Denn dieser Mann, der mir die Temperaturkonturen seiner Motive, seines Modells jeder Art lediglich wie nachzuzeichnen scheint. Überall in diesen Zeichnungen sind zeichen-hafte Details seiner kreativen Er-Regung, einer anderebenen Entschlossenheit sichtbar, winken uns vertraulich zu.

Karl Peter Muller zeichnet eigentlich und so sind seine jetzt vielleicht 30 Skizzenbücher im Grunde Heimat eines einzigen „Reigens“, eines Tanzes aus einfachen und höchst komplizierten Schrittfolgen und Sprüngen. KPM zeichnet, Wahlspanier der er seit vielen Jahren ist, immer wieder Stiere, den Lauf der Stiere, den Gang gegen die Toreros, er zeichnet sie in vollem Drang, er stellt sie friedlich weidend dar, liegend, rennend, kraftsprühend, aggressiv und harmlos, zeichnet Stierköpfe mit fetischhaftem Haarwuchs, zottelig-wild und glänzend, wie gebügelt glatt, stehend, hufend mit schwellenden Schenkelmuskeln, melodischen Rücken, immer wieder auch Stierphysiognomien; man spürt die Zuneigung des Künstlers zu diesen Tieren, diesem Sinnbild der Kraft und der kreatürlichen Herrlichkeit. Was für ein Gefühl muss es für ihn sein, diese Ur-Wüchsigkeit aus seiner Feder fließen zu sehen, die Spontaneität, die immer ernsthaft dekorativen, spannungsgeladenen Einfälle des Stieres in die Zeichnung gegossen - zu erleben. Ja, ums Er-Leben geht es dem Zeichner, um die „wesentliche Ausprägung des Modells, ob es jetzt der Stier oder morgen Tara“, die Muttergöttin seiner maltesischen Drittheimat ist, eine kleine keramische Skulptur, ernst und dabei heiter wie ein am Leben orientiertes Gebet.

Karl Peter Mullers Zeichnungen tragen kein Gramm Fett. Sie sind aber auch nicht hager. Sie tragen die Qualität der steinzeitlichen Höhlengravuren. „Bärschlein, Bärschlein, Du schwimmst einen schweren Schwumm“, wandelt Muller die Luther zugedachte Prophezeiung ab. Und dies dürfte einer jener Momente gewesen sein, in denen der Zeichnend-Schreibende sich selbst über die Schulter sehend, schmunzelte. Ja, der Zeichner zeichnet immer, weil er immer sieht und geradezu leidenschaftlich zeichnet er blind... „was befreit“!

Seine Landschaften stellen so etwas wie strichweise Vertäuungen geologischer Gegebenheiten dar. Überall wird die filternde Präsenz des Künstlers deutlich, das Weglassen und Hervorheben, Ver-Wenden nenn ich’s mal, ein Triften auch, ein in die Konstellation der Partnerelemente einfügen, Blätter von elementarer Eindringlichkeit. Zeichnungen nahe wie die eigenen Nieren, der warme Atem, der über die schreibende Hand streicht.

„Wir haben es mit in der Landschaft aufgehängten Fragmenten zu tun“ zitiere ich eine Notiz und „Es sind Augenblicke intensiver Emotionalität, die durch die Formulierungen Montage-Demontage abgekühlt werden“. „Eine lebenslange Anstrengung mit dem Ziel, die innere Freiheit wieder zu erlangen“, schrieb er woanders.

Ist der Künstler von der Komplettierung seiner eigenen Welt besessen? Wer der Stimmigkeit in diesen Skizzenbüchern begegnet, würde sich das fast wünschen. Ziegenhaltungsgesten, wie zusammen gebellte Dörfer; Strichdichten zu Entenpulsschlägen, optische Rezeptstrategien, ein äußerst lebendiger Reiter aus gebändigten Kritzeleien (ein Meisterwerk auf wenigen Zentimetern), Mutter und Kind, fließenden Zuschnitts schnittmusterlogisch, Menschenkonstellationen objektiv, Schweißlastig hingeschrieben, ein tragik-komischer Schwan, fußkrank wie ein Penner, clownesk, witzig, nie diskriminierend, zwei berittene Linien nebeneinander, Kutschenräder mit eigener Perspektive... in diesen Skizzenbüchern wiederholen sich die Er-Eignisse eines gedrängt erfüllten Lebens, das weitergeht: unterwegs ist.

Roland Geiger
Heidelberg, am 25. November 1999

Karl-Peter-Muller-Stiftung (i.G.)

Das Primitive, von den Künstlern des 19. Jahrhunderts entdeckt und in die Moderne glanzvoll aufgenommen, feiert durch den Mannheimer Künstler und Grenzgänger Karl Peter Muller eine Renaissance. Muller, der sich selbst kurz KPM nannte, studierte an der Akademie der Bildenden Künste in München Malerei. Sein Schaffen umfasste fast die gesamte Bandbreite künstlerischer Arbeit: Malerei, Collage, Bildhauerei, Performances, Environment und nicht zuletzt Literatur und Musik. Aus Geräuschen und Gerüchen wurden Bilder, aus Bildern Texte, aus Texten Skulpturen, aus Skulpturen Räume und aus Räumen Musik. In frühen Jahren arbeitet KPM auch mit Kokoschka, Vedova und Bill zusammen. Einordnen lässt er sich jedoch nicht, weder im Stil, noch in der Technik – wenn überhaupt nur jener des Expressionismus.

Kunst für alle – diesem grundlegenden Denkansatz Karl Peter Mullers wird sich auch die Arbeit der gleichnamigen Stiftung widmen. Ihr Ziel ist es das umfangreiche Oeuvre von KPM mit mehr als 800 Bildern, über 3.000 Papierarbeiten sowie Skulpturen und Installationen zu wahren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Darüber hinaus verfolgt die Stiftung das Ziel, aktiv das Werk „alter“ Künstler zu unterstützen; anstatt sich – wie zahlreiche Organisationen – der Arbeit junger, aufstrebende Talente zu widmen. In diesem Zusammenhang wird die Karl-Peter-Muller-Stiftung (i.G.) einen Teil des Budgets aus dem Verkauf von Kunstwerken bestreiten. Schon mit einem geringen Beitrag ist es möglich, Stiftungspate zu werden und dabei zu sein, wenn das Vermächtnis KPMs und „alter“ Künstler für die Nachwelt erhalten bleibt.

Wenn Sie an den Bildern Gefallen gefunden haben, Sie mehr über das Gesamtwerk wissen wollen und vielleicht sogar in Zukunft als Stiftungspate das Werk Karl Peter Mullers begleiten möchten, sind Sie herzlich eingeladen, sich mit den Förderern in Verbindung zu setzen (siehe KONTAKT).